Ich begrüße Fräulein WirrWarr zum Interview:
yx: Fräulein Wirrwarr, Du sagtest mir, dass Du dir das Label „Männerrechtlerin“ deswegen anheften ließest, weil Du die Argumente der Männerrechtler für die besseren hältst. Könntest Du dafür ein Beispiel nennen?
Fräulein Wirrwarr: Allgemein scheint es einen gewissen Doppelstandart zu geben, wie Männer rechtlich in bestimmten Bereichen behandelt werden. Ein persönlicher Aha-Moment war da für mich der CDC-Report aus dem Jahr 2010, welchen ich ein paar Jahre nach seiner Veröffentlichung gelesen habe, wahrscheinlich so um 2014/2015 rum.
Dieser ging komplett gegen das Klischee des Mannes als Aggressor. Nicht nur war der Anteil der Männlichen Opfer höher als gedacht, nach dem Report waren Männer sogar eher Opfer häuslicher Gewalt. Zwar nicht um viel, Der Split bei Intimate Partner Violence war 53% männliche Opfer zu 47% weibliche Opfer, jedoch dieser fasst schon 50/50 Split war augenöffnend. Und dies in den USA, dem Hegemon der westlichen Welt. Aber man hörte nicht davon.
Von da an war meine Interesse geweckt und ich setzte mich mehr mit dem Thema auseinander. Lernte über den Bias von Gerichten bei Themen wie Sorgerecht, aber auch bei Straftaten, bei denen Frauen tendenziell bei gleicher Tat weniger harsch bestraft werden etc.
Jedoch eines der Themen, bei denen mein Gerechtigkeitssinn am meisten getriggert wurde, war Genitalverstümmelung. Wie kann man so arbiträr entscheiden, dass die Beschneidung von Jungs aufgrund von religiösen Gründen Ok ist, aber die von Mädchen nicht? Selbst, wenn man die medizinischen und psychologischen Folgen davon ignoriert, wenn man ein vollkommen gesundes Organ entfernt, welches wichtige Funktionen innehat. Selbst, wenn man den absolut unredlichen und verfälschten Studien glauben schenkt, es würde die Wahrscheinlichkeit für eine HIV Infektion erhöhen, so sollte doch immer noch der Grundsatz gelten, das man die die Genitalien von Schutzbefohlenen unversehrt lässt.
Dass ich da selbst im persönlichen Umfeld auf eine merkwürdige Apathie gestoßen bin, während die gleichen Menschen Beschneidung bei Mädchen verurteilten, irritiert mich bis heute, jedes mal, wenn ich in so eine Debatte gerate.
Dies war auch mein Kipppunkt, dass selbst Männer bei dem Thema mit Schulterzucken bis Abwertung reagierten. Da habe ich das Label fast schon aus Trotz angenommen.
yx: Du beklagst also einen Mangel an Männersolidarität untereinander. Hast Du eine Theorie, woran das liegen könnte?
Fräulein Wirrwarr: Ich denke die größte Stärke von Männern ist in diesen Momenten ihre größte Schwäche. Es passt allgemein nicht in das Selbstbild von vielen Männern, dass man ein Opfer ist oder dass man versagt. Dies ist in erster Linie eigentlich ein sehr positives Mindset. Sich nicht so schnell geschlagen geben. Anstatt sich über die Probleme zu beklagen, oder gar zu weinen, eine eigene Lösung zu suchen. Gerade diese Hartnäckigkeit hat uns als Menschheit ja auch weit gebracht. Jedoch hat es auch eine Kehrseite.
Man sieht es bei Kindern. Wenn ein Junge weint, ist er eine Heulsuse, und soll sich zusammenreißen. Das Mädchen weint und es wird sich um sie gekümmert.
Männer dürfen keine Opfer sein und neigen so ironischerweise dazu sich eher aufzuopfern. Sei es im Job, für die Familie, im Krieg, es wird geradezu erwartet, dass der Mann seinen Schmerz runterschluckt.
Da denke ich, dass viele Männer dieses eigene Männerbild auch auf Probleme die von Männerrechtlern angesprochen werden projizieren. Mann will einfach nicht wahr haben, dass andere oder gar man selbst in manchen Situationen ein Opfer sein könnte, sondern führt vieles auf eigenes Fehlverhalten zurück. Dabei ist es keine Schande ein Opfer zu sein, besonders wenn selbst die Gesetze gegen einen stehen.
yx: Würdest Du sagen, dass Frauen die Gesellschaft genauso wie Männer mitgestalten, obwohl die meisten Machtpositionen von Männern besetzt sind? Wie erklärst Du dir diesen Widerspruch?
Fräulein Wirrwarr: Frauen haben genau wie Männer eine Stimme, die sie den Menschen in der Politik geben, welche ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse vertritt. Ob dies nun ein Mann oder eine Frau ist, ist in dem Moment erstmal egal. Warum nun Männer hauptsächlich in die Politik gehen, kann nun viele Gründe haben. Sei es in sexuellen Dimorphismus begründet, wodurch Männer tendenziell lieber solche Berufe aussuchen und dann Verhandlungsgesprächen erfolgreicher abschließen, weil sie weniger umgänglich sind als ihre Kolleginnen, oder die Sozialisation, wodurch die biologisch zu Grunde liegenden Tendenzen nur verstärkt werden. Jedoch muss jemand der mein Geschlecht hat sich nicht zwangsläufig für meine Interessen einsetzen. Es gibt viele Männer die Frauenpolitik machen und demnach auch von Frauen gewählt werden.
Und dann kommt zu der politischen Macht, welche jeder von uns mit seiner Stimme hat auch noch die soziale Macht hinzu. Wenn Frauen auf ein Problem aufmerksam machen, sind Männer nicht weit ihnen zu helfen. Hier kommen wir auf das vorhin angesprochene Problem zurück, im kleinen, wenn ein Mädchen weint wird ihr geholfen. Bestes Beispiel war damals die HeForShe Kampagne, in der Emma Watson um Hilfe gebeten hat, und alle mächtigen Männer der Welt aus Politik und Kultur sich solidarisch hinter sie gestellt haben.
Daher denke ich auch ist es so wichtig, das mehr Frauen sich auch für Themen des Männerrechts interessieren und engagieren. Was man nur alles erreichen könnte, wenn Frauen diese Themen in den Diskurs bringen würden.
yx: Du glaubst also nicht an gläserne Decken, wenn Du Karriere machen wolltest?
Fräulein Wirrwarr: Nein, ich glaube nicht an irgendeine Gläserne Decke. Momentan studiere ich Physik, also ein „typisch männliches Fach“, und ich habe noch nie die Erfahrung gemacht dass irgendjemand sich mir in den Weg stellt, seitdem ich mit 15 das erste mal den Wunsch geäußert habe. Im Gegenteil. Selbst, wenn irgendjemand etwas gegen meinen Berufswunsch gesagt hätte: Wie schwach wäre es, sich dann von seinem Traum abbringen zu lassen? Wenn man sich von einer etwas gröberen Behandlung abbringen lässt, wie will man später in Meetings überzeugen, Gehaltsverhandlungen führen und all diese Dinge, die auch für schüchterne Männer Hürden sind.
Wir sind nun mal eine sexualdimorphe Spezies. Wir haben unterschiedliche Gehirne und einen unterschiedlichen Hormonspiegel. Zu erwarten das es bei Gleichbehandlung zu einem 50/50 Ergebnis kommt ist Leugnen der Realität.
Zwar wird dann verlangt, das sich das Klima in den Firmen dahingehend zu ändern hat das Frauen sich wohler fühlen, jedoch sind Firmen keine Therapie-Sitzung, sondern immer noch Unternehmen, die auf Gewinn aus sind. Dem kommen eben die energischeren Persönlichkeiten eher zu gute. Wenn jedoch eine taffe Frau auftritt, welche sich nicht abhalten lässt, steht ihr ihr nichts im Wege.
Aber sie muss sich dann auch klar machen, was das heißt. Leute im höchsten Management haben keine 40h Woche, die leben für die Arbeit. Man kann nicht einfach Pause machen für Kinder. Es ist auch absolut fair, wenn Frauen (und auch viele Männer, wir reden hier immer noch von einer Minderheit, die diese Top Positionen einnimmt) diesen Preis nicht zahlen wollen.
yx: Wenn man Kampagnen wie #aufschrei, #metoo und Feministen wie Anne Wizorek folgt, leisten Frauen schon allein dadurch Widerstand, dass sie einfach nur vor die Tür gehen. Welches Ausmaß hat sexuelle Belästigung deiner Beobachtung nach und wie reagierst Du persönlich, wenn dir ein Kerl dumm kommt?
Fräulein Wirrwarr: Ich hatte wohl Glück und bin in einem Umfeld aufgewachsen wo es sowas einfach nicht gab. In einem 40-Seelen Dorf in Vorpommern, um genau zu sein. Dazu war ich nie wirklich interessiert am Feiern, sondern mehr daran, zuhause am Computer zu sitzen. Ich lebte nie in einer Großstadt, wo ich mir durchaus vorstellen kann, das Sexuelle Belästigung, besonders wenn man ins Nachtleben geht und dort Alkohol einige Inhibitoren aushebelt, häufiger vorkommen kann.
Ich wurde auch im echten Leben selten angebaggert. Freunde haben mir gesagt, ich hätte eine recht verschlossene Körpersprache, daran mag es wohl liegen. Und die paar Male war wohl meine verwirrte Reaktion schon ablehnend genug, sodass sie sich wieder verzogen.
Ich bin wohl niemand, der viel über das Thema sprechen kann und kann nicht sagen über Ausmaß, weil ich zu sehr Aspi bin, um mich in risikoreiche Situationen zu begeben, oder Belästigung teilweise sogar einfach nicht mitbekommen, solange sie nicht handgreiflich werden würden.
yx: Zum Abschluss: Was willst Du Maskulisten und Feministen Versöhnliches mit auf den Weg geben?
Fräulein Wirrwarr: Ich denke das es wichtig ist, das sich beide darauf besinnen, dass unser eigentliches Ziel dasselbe ist. Dass Individuen, egal von welchem Geschlecht, freibestimmt und ohne Angst leben können. Dass Staat und Rechtsprechung nicht in irgendeine Richtung diskriminierend vorgehen.
Feministen wollen, dass sich die Rollenbilder in der Gesellschaft und den Beziehungen ändern, aber Männern, welche sich in das Leben ihrer Kinder involvieren wollen, wird dies in vielen Fällen verwehrt, da die Gerichte voreingenommen sind dahingehend, dass Frauen der zu präferierende Vormund seien. Der Mann ist Täter und die Frau Opfer. Jedoch zeigen die Statistiken z.B. zur häuslichen Gewalt, das dies auch andersrum der Fall sein kann. Es gibt kaum Aufklärung und Hilfsangebote die an Männer gerichtet sind.
Ich sehe natürlich den Sinn davon, wenn man sich auf eine Problemgruppe konzentriert in seinem Aktivismus, schließlich hat man nur begrenzte Ressourcen, aber diese dann darin zu investieren die andere Gruppe zu diskreditieren und zu sabotieren ist genau der falsche Weg.
Menschen die sich für Männerrechte einsetzen sind keine Bedrohung für das, was Feministen an Emanzipation für Frauen erreicht haben. Jetzt sollten aber auch Männer und Jungs an der Reihe sein, ihr Leben selbstbestimmt und frei leben zu können, ohne Voreingenommenheit der Justiz, ohne Gewalt in der Beziehung oder Verstümmlung des Genitals und ohne Generalverdacht
yx: Vielen Dank und viel Glück!
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