»Wer verteidigt welche Interessen mithilfe des Feminismus? Und inwiefern hilft Feminismus dabei?«
Unter der Voraussetzung, dass wir nicht von dem Kapitalismus reden, sondern von der derzeitigen Form des Kapitalismus (ich nenne sie »neoliberal« oder »marktradikal«), werfe ich mal meine zwei Cent in den Opferstock:
(1) Der marktradikale Kapitalismus setzt ein höheres Vertrauen in die Fähigkeit der Märkte, sich zum Wohle der Gesellschaft selbst zu regulieren, als empirisch gerechtfertigt ist.
(2) Diesem marktradikalen Kapitalismus korrespondiert eine Ideologie, derzufolge die Systemeffekte marktinduzierter Fehlallokationen den Anbietern von Arbeitskraft als persönliches Versagen zugerechnet werden und die durch ideologische Dauerbeschallung dafür sorgt, dass Arbeitnehmer dieses Fremdbild als Selbstbild übernehmen.
(3) Das Interesse, das dabei verteidigt wird, ist das Interesse, im Konflikt zwischen »Kapital und Arbeit« die Verhandlungsposition der »Arbeit« möglichst weitgehend zu schwächen, indem Lohndumping psychologisch und gesellschaftlich nicht nur akzeptabel gemacht, sondern für geboten erklärt wird.
(4) Die Übernahme dieses Fremdbildes als Selbstbild führt zu einer beständigen Selbstüberwachung der Anbieter von Arbeitskraft im Hinblick auf die »Marktkonformität« des eigenen Verhaltens.
(5) Der Feminismus kommt hier ins Spiel, weil die feministische Ideologie den Modus der moralischen Selbstüberwachung zur kulturellen Kardinaltugend erhebt. Während der Marktradikalismus nur Verstöße gegen die Marktkonformität als Sünden ahndet, verallgemeinert der Feminismus diese Sündenlehre auf nahezu beliebige Verhaltensweisen, die nun beständig auf »Privilegien«, »Sexismus«, »Rassismus« und all die anderen -ismen der intersektionalen Theologie überprüft werden sollen.
(6) Der Feminismus schwächt auf diese Weise die Verhandlungsposition der »Arbeit« durch Spaltung, indem einem Teil der Arbeitnehmer die Möglichkeit eröffnet wird, sich durch die Berufung auf »Diskriminierung« (also Unter-Privilegierung) eine privilegierte staatliche Behandlung zu erschleichen.
(7) Das führt dazu, dass die Kritik an systematischer Benachteiligung von marktinduzierten Fehlallokationen auf staatliches Handeln deflektiert und auf dem Umweg über staatliche Umverteilung dem steuerzahlenden Arbeitnehmer (überwiegend weiß, männlich und »Kartoffel«) aufgelastet wird.
(8) Die Ideologen des Marktradikalismus holen sich derweil Popcorn und genießen die Selbstzerfleischung der Arbeiterklasse.
Hm, ich glaube, ich bin einigen Kommentatoren bei AE dazu auch noch Antworten schuldig geblieben. 🙂
Würde ich gerne lesen.
Trifft es ganz genau auf den Punkt.