Nietzsche über Deutsche

Zur Frage nach dem Deutschsein bietet [djadmoros] ein Pfund Nietzsche! 🙂 Ja, er schreibt so »ohne Punkt und Komma«, also keine Absätze …

»Die deutsche Seele hat Gänge und Zwischengänge in sich, es giebt in ihr Höhlen, Verstecke, Burgverliesse; ihre Unordnung hat viel vom Reize des Geheimnissvollen; der Deutsche versteht sich auf die Schleichwege zum Chaos. Und weil jedes Ding sein Gleichniss liebt, so liebt der Deutsche die Wolken und Alles, was unklar, werdend, dämmernd, feucht und verhängt ist: das Ungewisse, Unausgestaltete, Sich-Verschiebende, Wachsende jeder Art fühlt er als ›tief‹. Der Deutsche selbst ist nicht, er wird, er ›entwickelt sich‹. ›Entwicklung‹ ist deshalb der eigentlich deutsche Fund und Wurf im grossen Reich der philosophischen Formeln: – ein regierender Begriff, der, im Bunde mit deutschem Bier und deutscher Musik, daran arbeitet, ganz Europa zu verdeutschen. Die Ausländer stehen erstaunt und angezogen vor den Räthseln, die ihnen die Widerspruchs-Natur im Grunde der deutschen Seele aufgiebt (welche Hegel in System gebracht, Richard Wagner zuletzt in Musik gesetzt hat). ›Gutmüthig und tückisch‹ – ein solches Nebeneinander, widersinnig in Bezug auf jedes andre Volk, rechtfertigt sich leider zu oft in Deutschland: man lebe nur eine Zeit lang unter Schwaben! Die Schwerfälligkeit des deutschen Gelehrten, seine gesellschaftliche Abgeschmacktheit verträgt sich zum Erschrecken gut mit einer innewendigen Seiltänzerei und leichten Kühnheit, vor der bereits alle Götter das Fürchten gelernt haben. Will man die ›deutsche Seele‹ ad oculos demonstriert, so sehe man nur in den deutschen Geschmack, in die deutschen Künste und Sitten hinein: welch bäurische Gleichgültigkeit gegen ›Geschmack‹! Wie steht da das Edelste und Gemeinste neben einander! Wie unordentlich und reich ist dieser ganze Seelen-Haushalt! Der Deutsche schleppt an seiner Seele, er schleppt an Allem, was er erlebt. Er verdaut seine Ereignisse schlecht, er wird nie damit ›fertig‹; die deutsche Tiefe ist oft nur eine schwere, zögernde ›Verdauung‹. Und wie alle Gewohnheits-Kranken, alle Dyspeptiker den Hang zum Bequemen haben, so liebt der Deutsche die ›Offenheit‹ und ›Biederkeit‹: wie bequem ist es, offen und bieder zu sein! – Es ist heute vielleicht die gefährlichste und glücklichste Verkleidung, auf die sich der Deutsche versteht, dies Zutrauliche. Entgegenkommende, die-Karten-Aufdeckende der deutschen Redlichkeit, sie ist seine eigentliche Mephistopheles-Kunst, mit ihr kann er es ›noch weit bringen‹! Der Deutsche lässt sich gehen, blickt dazu mit treuen blauen leeren deutschen Augen – und sofort verwechselt das Ausland ihn mit seinem Schlafrocke!«

(Jenseits von Gut und Böse, Achtes Hauptstück: Völker und Vaterländer, Abschnitt 244), KSA 5, S. 185 f.

5 Gedanken zu „Nietzsche über Deutsche

  1. Mario

    Es scheint ihn ja nicht besonders wichtig zu sein, seinen Lesern gut verständlich was auch immer mitzuteilen. Dementsprechend fällt dann offenbar auch die Sorgfalt aus, mit der der Text „dahingerotzt“ wurde, anstatt sich um Lesbarkeit, in Form von bspw. sinnvollen Absätzen, zu machen.

    Für mich reicht das aus, so eine Textwand bestenfalls kurz zu überfliegen, sicherlich aber keine Zeit zu verschwenden, um sie zu lesen.
    Wieso auch sollte ich mehr Zeit und Mühe investieren als der Verfasser? 😛

    Antwort
    1. Renton

      Ketzerischer Gedanke: Was, wenn nicht Nietzsches Fähigkeit zum Formatieren digitaler Texte unterentwickelt ist, sondern Deine Fähigkeit, längere sinnzusamenhängende Texte zu lesen? Nur so als Idee.

      Antwort

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